Interview-Reihe Teil 7: Gabi François

Gabi François kam nach unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten eher „schleichend“ als Quereinsteigerin zum Dolmetschen und Übersetzen. Es begann bei Treffen von Städtepartnerschaften während der Schulzeit und des Studiums und danach begleitete die Sprachmittlung sie durch ihre gesamte Berufstätigkeit in Rechtswesen, Touristik und Industrie. Seit 2004 ist sie freiberuflich tätig. Ihre Hauptsprachen sind Französisch und Englisch; für diese Sprachen ist sie auch bei Gericht ermächtigt.

 

Wie kamst du auf die Idee, Übersetzerin zu werden?

Eigentlich hatte ich mein Leben lang mit Fremdsprachen zu tun. Ich war anderthalb, als meine Tante, die nach Schottland geheiratet hatte, mit meiner gleichaltrigen Kusine ein paar Monate lang bei uns in Deutschland lebte. Am Ende verlangte Linda die „Flasche“ und ich die „bottle“.

Außerdem hatte eine andere Tante einen Niederländer geheiratet und meine Eltern hatten Freunde dort, die wir in den Ferien besuchten. Dann las ich den kleinen Kindern der Freunde ihre Bilderbücher vor und meine Aussprache erzeugte anfangs sehr viele, aber dann immer weniger Lacher. Auch das niederländische TV, das man in Deutschland lange unverschlüsselt sehen konnte, trug mit den untertitelten statt synchronisierten Filmen zu meinem unstrukturierten Spracherwerb bei.

Mein Vater, der ein großer Frankreichfan war (er hatte an der Schule Französisch als erste Fremdsprache), pflanzte mir früh die Liebe zu diesem Land und dessen Sprache ein. Der Boden für meine Ehe mit einem Franzosen war also gut vorbereitet. Da der Vater meiner Tochter unbedingt in Deutschland leben wollte, praktizierten wir Französisch als Familiensprache, sodass unser Kind zweisprachig aufwuchs.

Zunächst absolvierte ich eine typische „Höhere Töchter“-Ausbildung am Neusprachlichen Mädchengymnasium mit Englisch, Latein, Französisch und Spanisch, jedoch wenig MINT-Fächern. Nach dem Abitur studierte ich Französisch und Deutsch auf Lehramt, merkte in der Praxis aber schnell, dass das Lehrerdasein nicht meine Welt ist.

Später legte ich einen Zickzackkurs durch die Berufswelt zurück: während des Studiums als Schwesternhelferin im Krankenhaus, nach der Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten als Bürovorsteherin, dann als Sachbearbeiterin in der Touristik (u. a. im Unternehmen meines jetzigen Mannes) und schließlich 12 Jahre als Direktionsassistentin in einem internationalen Industriekonzern.

Als dieser Konzern von einem Wettbewerber geschluckt und der Standort Osnabrück auf die reine Produktion reduziert wurde, war ich mit 50 zu alt, zu schlau, zu teuer für eine andere Festanstellung. Also wagte ich den Sprung in die Selbständigkeit. Diesen Schritt habe ich nie bereut – zumal ich jetzt alles, was ich je gelernt habe, in meiner Selbständigkeit täglich ein- und umsetzen kann.

Wie hast du deine Spezialisierung gefunden und wie hast du dich dann in diesem Fachbereich spezialisiert?

Die Spezialisierung ergab sich quasi aus der während meiner Berufstätigkeit gesammelten Erfahrung:  Recht, Touristik, Technik. Da in dem Industrieunternehmen während meiner Anstellung zahlreiche Sanierungs- und Zertifizierungsprojekte durchgeführt wurden, kamen Managementwesen, Umweltrecht und -technik hinzu. Privat interessiere ich mich für Katzen, Kochen und Kleingärten. Die Familie meiner Mutter stammt von einem Bauernhof – so lag der Agrarbereich nahe. Mein Vater hatte vor dem Krieg Flugzeugbau studiert, und da ich keinen Bruder hatte, brachte er mir als der Ältesten alles über Technik bei, was er sonst an seinen Sohn weitergegeben hätte.

Wie kamst du an deinen allerersten Auftrag?

Das ergab sich bereits während meines Angestelltendaseins, weil ich mich 1989 bei Gericht ermächtigen ließ und nebenberuflich regelmäßig Aufträge von Anwälten, Notaren und Behörden erhielt.

Hinzu kamen Kontakte zu örtlichen Kollegen, die ich während meiner Angestelltenzeit mit größeren Projekten beauftragte, wenn ich selbst keine Zeit hatte. Das half mir nach meiner Gründung gut aufs Pferd.

Auch erfuhr ich viel Unterstützung von Dritten, vor allem durch eine mir bis dahin unbekannte Kollegin, der ich ein Wörterbuch abkaufte. Sie arbeitet zwar in anderen Sprachen und Fachgebieten als ich, versorgte mich aber mit jeder Menge Informationen über Foren und Mailinglisten, die mir den Einstieg sehr erleichterten.

Ich habe im Laufe meiner beruflichen Laufbahn in etliche Sparten hineingerochen, aber in keiner ist mir so viel Hilfsbereitschaft und Solidarität begegnet wie unter den Übersetzern. Das Schöne dabei ist, dass es ein echtes Geben und Nehmen ist.

Arbeitest du vorwiegend mit Agenturen oder mit Direktkunden und hat sich das im Lauf der Zeit geändert?

Ich habe von jeher darauf geachtet, möglichst breit aufgestellt zu sein. Nichts kann fataler sein, als wenn man sich auf einen Großkunden spezialisiert hat, der dann wegbricht. Zu meinen Kunden zählen Privat- und Firmenkunden, Agenturen und Kollegen, Verlage und NRO, Anwälte und Behörden …

Was liebst du an deinem Job am meisten?

  • die abwechslungsreichen Themen
  • die freie Entscheidung für oder gegen einen Auftrag
  • die freie Zeiteinteilung

Was hasst du an deinem Job am meisten?

Den Zeitdruck.

Was war dein bisher schönstes Übersetzungsprojekt?

Es gibt zwei, auf die ich besonders stolz bin – die mehrjährige sprachliche Begleitung des Umbaus eines denkmalgeschützten Hauses in Brüssel und ein Buch über Wildbienen: https://www.blv.de/natur-tiere/huehner-bienen/2159/wildbienen-entdecken-schuetzen

Welchen Tipp würdest du anfangenden Kolleginnen geben?

Aus voller Überzeugung: Lest Miriams Buch „Überleben als Übersetzer“, ruhig auch mehrmals. Es ist das Buch, das ich gern geschrieben hätte, aber Miriam war schneller und schreibt auch schöner als ich. Und das sage ich völlig ohne Neid!

Macht Netzwerkarbeit. Nutzt jede sich nur bietende Gelegenheit – beim Stammtisch in eurer Stadt, bei Weiterbildungen, bei Messebesuchen, bei Geburtstagen im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Wenn ihr verreist, seht zu, ob ihr das mit einem Stammtischtermin in einer anderen Stadt vereinbaren könnt: https://uepo.de/stammtische

Habt immer Visitenkarten dabei. Immer!

Legt euch einen Elevatorpitch zu: Ihr müsst in der Lage sein, innerhalb von maximal einer Minute zu erzählen, wie ihr euer Geld verdient. Dabei setzt ihr die wichtigste Information gleich an den Anfang und wiederholt sie am Ende noch einmal. Die Visitenkarte, die ihr bereits griffbereit habt, wird am Ende übergeben.

Arbeitet euch sprachlich in Bereiche ein, für die ihr brennt. Macht daraus euer Spezialgebiet und schafft euch mit dieser Nische ein Alleinstellungsmerkmal.

Arbeitet in Tandems. Sucht euch nette, kompetente und zuverlässige Kollegen, mit denen ihr regelmäßig zusammenarbeitet – eine/r übersetzt, der/die andere liest Korrektur und umgekehrt. Vier Augen sehen mehr als zwei, und der Revisor hat einen ungetrübten Blick auf den Text, während der Übersetzer irgendwann betriebsblind wird, zumal bei längeren Texten. Das Ergebnis wird es euch danken.

Mit meinen Tandempartnern rechne ich das übrigens über ein Stundenkonto ab, das vermeidet Rechnungen und Buchungsvorgänge und ist auch steuerlich unproblematisch, solange man es bei einer Prüfung nachvollziehbar vorlegen kann.

Weil in aller Regel die betriebswirtschaftliche Ausbildung beim Übersetzerstudium viel zu kurz kommt, empfehle ich die Mitgliedschaft im VGSD (auch kostenlos möglich). Dann hat man Zugriff auf die im Schnitt wöchentlich stattfindenden Webinare (dort Telko genannt) bzw. deren Aufzeichnungen, in denen BWL-Themen aller Art behandelt werden: https://www.vgsd.de

Fragt eure Bank nach einem kostenlosen Unterkonto und hinterlegt dort jeweils 15 bis 20 % eurer Umsätze. Dann seid ihr immer auf der sicheren Seite, wenn das Finanzamt die Hand aufhält, und zwar nicht nur für die Umsatzsteuer, sondern auch für Voraus- oder Nachzahlung von Einkommen­steuer. Und wenn es mal ganz dick kommt, habt ihr ein kleines finanzielles Polster, um kürzere Flauten heil zu überstehen.

Und macht regelmäßig eine Datensicherung!

Wie hast du es geschafft, dir ein berufliches Netzwerk (zu Firmen, aber auch zu Kollegen) aufzubauen?

Das liegt mir Gott sei Dank im Blut – ich bin so erzogen worden. Aber man kann das auch lernen. Einfach in kleinen Schritten beginnen. Zum Freischwimmen fängt man bei Leuten an, die vielleicht nicht so wichtig sind. Auch Familie und Freunde sind ein gutes Trainingsfeld. Wenn man mehr Sicherheit verspürt, kann man sich auch an potenziellen Kunden versuchen. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben – da ist was dran. Also traut euch!

Dabei können diese Bücher hilfreich sein:

Welchen Tipp hast du für die erfolgreiche Kundenakquise?

Ich habe meine besten Kunden über Empfehlungen bekommen. Daher ist die Netzwerkarbeit so wichtig, damit man sich in der Branche einen Ruf aufbaut.

Was würdest du an deiner Ausbildung/an deinem Werdegang heute anders machen, wenn du könntest?

Nichts, das sollte alles wohl alles so kommen, wie es gekommen ist, und das war und ist für mich gut so. Wichtig ist vor allem, dass man immer und überall über den Tellerrand hinausschaut.

Was war deine bisher beste Anschaffung?

Die zahlreichen Fach- und Wörterbücher. Ganz im Ernst: Ich stoße dort auch heute noch immer wieder auf Informationen oder Begriffe, die ich nicht im Netz finde. Und in Büchern kann man auch bei Netzausfall nachschlagen. Also unterschätzt nicht das gedruckte Wort.

Wie hältst du dich auch als alter Hase auf dem Laufenden?

Ich bin chronisch neugierig. Ich bleibe heute noch auf dem Wochenmarkt stehen und lese das Einwickelpapier, wenn mir ein interessantes Wort ins Auge fällt.

Ich sammle Links zu wichtigen Informationen. Diese gebe ich per Rundmail an die Mitglieder des Osnabrücker Stammtisches weiter. So weiß ich immer, wo ich suchen muss, wenn ich denke: „Dazu gab es doch mal …“

Ich nehme regelmäßig an Veranstaltungen wie Vorträgen, Messen und Weiterbildungen teil, nicht nur an solchen für Übersetzer, sondern auch an fachbezogenen für die Experten. Ich lese Fachbücher und -magazine, sehe mir Berichte im TV oder Aufzeichnungen im Netz an und finde witzigerweise auch immer wieder gute Sachen in den Zeitschriften beim Arzt oder Frisör. Also Augen offenhalten!

Und damit gehen wir nahtlos zum nächsten Punkt über:

Welche Bücher und/oder Veranstaltungen kannst du empfehlen?

Egal – live and learn. Was für mich gut und wichtig ist, muss nicht für andere passen. Ich lerne zum Beispiel sehr viel besser bei Präsenzseminaren als bei Webinaren, weil ich dann aus dem Alltag heraus bin und nichts mich ablenkt.

Daher schalte ich beim Seminar auch meist das Tablet und immer das Smartphone aus (oder ich stecke es wenigstens in die Tasche). Notizen mache ich lieber von Hand und bereite sie zu Hause auf, das festigt das Gelernte auch besser.

Es gibt – außer „Überleben als Übersetzer“ – noch ein paar andere Bücher, die einem auf die Sprünge helfen können, wenn man nicht weiß, in welche Richtung man weitergehen soll, zum Beispiel:

Ich liste hier nur die deutschsprachigen auf. Bestimmt gibt es ähnliche Werke auch in eurer Arbeitssprache, einfach mal suchen.

Zum Schluss noch mein Lieblingsbuch übers Übersetzen:

Ich wünsche euch viel Freude und Erfolg bei eurem Weg in und durch die spannende Welt der Sprachmittlung.

2 Gedanken zu „Interview-Reihe Teil 7: Gabi François

  1. Miriam, genau wie dein Buch ist auch deine Interview-Reihe unglaublich interessant. Ich bin wirklich begeistert. Und Gabi, du steckst die Leser des Interviews auch mit deiner (Übersetzer) Energie an. Dein Enthusiasmus steckt an. Vielen Dank!

  2. Liebe Gabi, liebe Miriam,
    herzlichen Dank für dieses sehr spannendes Interview!

    Die Lebenswege Quereinsteigerinnen finde ich besonders faszinierend.

    Vielen Dank auch für deine zahlreichen Tipps. Auf die Idee über ein Stundenkonto mit einer Kollegin abzurechnen wäre ich niemals gekommen.

    Schöne Grüße

    Marta

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